Hintergrund

EUV in Lucerne, Switzerland
EUV in Lucerne, Switzerland

Forschung für freiwilliges Engagement – eine gesellschaftliche Kraft, die es zu pflegen gilt 

“Unsere Gesellschaft beruht auf zivilem Engagement. Freiwilligenarbeit beeinflusst unser Leben nachhaltig. Freiwilligenarbeit darf nicht von ökonomischen Zwängen beherrscht oder verdrängt werden”, sagt Adolf Ogi, früherer Bundesrat der Schweiz, in seinem Grusswort zur Europäischen Freiwilligenuniversität EFU 2005 Luzern. 

Ohne freiwilliges Engagement wäre unsere Gesellschaft nicht wiederzuerkennen. Es braucht Menschen, die bereit sind, zur Herstellung von Allgemeingütern beizutragen. Im Dritten Sektor, wo die Nonprofit-Organisationen (NPO) tätig sind, werden 37% der gesamten Arbeitsleistung (gemessen in Stunden) von Freiwilligen getätigt. 

Zehn Jahre nach dem internationalen Jahr der Freiwilligen ist einiges geschehen, um die Leistungen der Freiwilligen sichtbar zu machen und anzuerkennen. Insbesondere der Freiwilligen-Monitor, welcher im 2010 bereits zum zweiten Mal von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) herausgegeben wurde, bietet ausführliche Informationen zu den Motiven und Leistungen der Freiwilligen in der Schweiz. Rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung über 15 Jahre engagiert sich freiwillig: 26% sind formell im Rahmen einer Organisation und 29% informell tätig. Auffallend sind die regionalen Unterschiede, in der Deutschschweiz wird entschieden mehr Freiwilligenarbeit geleistet als in der Romandie oder im Tessin. Inwiefern dies auch von der Art und Weise abhängt, wie Freiwilligenarbeit definiert und erfasst wird, ist Teil der momentanen Diskurse in der Freiwilligenforschung.

Freiwilliges Engagement ist Forschungsgegenstand von Wissenschaftler aus diversen Disziplinen. Ein interdisziplinärer und am Praxistransfer orientierter Ansatz ist gefragt, denn Freiwilligentätigkeit kann nicht losgelöst von gesellschaftlichem Wandel – wie  Entwicklungen in der Sozialpolitik, der Arbeitswelt und der Demographie - betrachtet werden. Der gesellschaftliche Wandel hat den NPO den Pool an nicht-erwerbstätigen Frauen des Mittelstandes entzogen, bietet jedoch mit den ‚rüstigen Alten‘ und den virtual communities wieder neue Potentiale für die Gewinnung von Freiwilligen. Zudem ist ein Trend zu beobachten, dass Freiwillige vermehrt projektbezogene, kurzfristige Einsätze mit Spassfaktor leisten möchten und gleichzeitig fordern, dass sie die Wirkung ihrer investierten Zeit wahrnehmen. 

Der Professionalisierungsdruck in NPO macht somit auch vor den Freiwilligen nicht halt. Dies zeigt sich einerseits in Bemühungen, den Einsatz von Freiwilligen möglichst effektiv und effizient zu koordinieren. Dafür werden vermehrt Instrumente aus dem Personalmanagement auf den Kontext der Freiwilligen übertragen. Es stellt sich dabei die Herausforderung, wie Freiwillige geführt, an Qualitätsstandards orientiert, und auf ein gemeinsames Ziel hin organisiert werden können, ohne dass man ihren inneren Antrieb – die sogenannte intrinsische Motivation - verdrängt. Es muss Raum gelassen werden für den „freien Willen“, den Wunsch nach Sinnerleben der Freiwilligen. Dies kann u.a. dadurch unterstützt werden, dass die Freiwilligen in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Andererseits hat eine NPO die Pflicht, ihren Leistungsempfängern die bestmögliche Qualität zu gewährleisten. Dies ist teilweise dadurch möglich, dass man den Freiwilligen Freiraum für Eigeninitiative lässt, z.B. hat ein freiwilliger Krankenbesuch eine andere Qualität als eine Visite des Pflegepersonals. In anderen Situationen ist der Einsatz von bezahlten Mitarbeitern oder die Weiterbildung von Freiwilligen, und deren Unterwerfung unter bestimmte Standards, sinnvoller.

Um der solidarischen Kraft und der immensen gesellschaftlichen Bedeutung der Freiwilligen gerecht zu werden, bedarf es verschiedener Aushandlungen: Wie sind die Rollen der Freiwilligen in Beziehung zu den bezahlten Mitarbeitern zu definieren? Wie soll der Nutzen der Freiwilligentätigkeit aufgeteilt werden auf die Freiwilligen selbst, die NPO, die Leistungsempfänger und die breite Öffentlichkeit? Was macht freiwilliges Engagement aus und ab wann ist die Freiheit der Freiwilligen gefährdet? Über diese und weitere Fragen werden sich Forscher und Praktiker an der Europäischen Freiwilligenuniversität austauschen.

Neuer Namen

Die General Assembly im September 2013 hat den bisherigen Titel „European University for Voluntary Service“ in „European University for Volunteering“ geändert, um das gesamte Spektrum von Freiwilligentätigkeit in den Blick zu nehmen.

Referenzen

  • Ammann, H. (2010). Freiwilligen-Monitor 2010 - Ein wissenschaftlicher und politischer Diskurs, in: Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management, 36, 3, 16-27.
  • Helmig, B., Bärlocher, Ch. & von Schnurbein, G. (2009). Defining the Nonprofit Sector: Switzerland, Working Papers of the Johns Hopkins Nonprofit Comparative Sector Project, Nr. 46, Baltimore: The Johns Hopkins Center for Civil Society.
  • Schumacher, B. (2010). Freiwillig verpflichtet: Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich: Verlag Neue Züricher Zeitung.
  • Stadelmann-Steffen, I., Traunmüller, R., Gundelach, B. & Freitag, M. (2010). Freiwilligen-Monitor Schweiz 2010, Zürich: Seismo.
  • Wehner, T., Mieg, H. & Güntert, S. (2006). Frei-gemeinnützige Arbeit: Einschätzungen und Befunde aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive, in: Mühlpfordt, S. & Richter, P., Ehrenamt und Erwerbsarbeit München: Hampp, 19-39.
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